Chronik des Chores

 

Die ersten 25 Jahre.

 

An die Musik

Du holde Kunst,

 in wie viel grauen Stunden,

wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt,

hast du mein Herz

zu warmer Lieb' entzunden,

 hast mich in eine bess're Welt entrückt.

 

Oft hat ein Seufzer,

deiner Harf entflossen,

ein süßer, heiliger Akkord von dir

den Himmel bess'rer Zeiten mir erschlossen, du holde Kunst, ich danke dir dafür.

 


Dieses Gedicht des Schubertfreundes Franz von Schober, das Schubert später vertonte, steht am Anfang der umfangreichen Chronik des Schubertchores.

 

Es drückte wohl genau das Gefühl jener Menschen aus, die sich am 28. Januar 1949 im Zeichensaal der Achimer Mittelschule das erste Mal zum gemeinsamen Singen zusammenfanden. Aus allen Teilen der deutschen Ostgebiete hatte sie ein unmenschlicher Krieg und seine Folgen hier in Achim zusammmengeführt . Eine lange, schwere Flucht lag hinter ihnen, und außer ihrem Leben hatten sie fast alles verloren, ihre Habe, zum Teil ihre Familien und vor allem ihre Heimat.

 

Im gemeinsamen Leid kamen sie in der Flüchtlingsvereinigung zusammen. In dieser Gemeinschaft besprachen sie ihre Probleme und hielten die Erinnerung an die alte Heimat wach. Anfang Januar 1949 beschloss man in einer Flüchtlingsversammlung die Gründung einer Singgruppe, um hier die Lieder der ostdeutschen Heimat zu pflegen und in der Singstunde das momentane Leid ein wenig zu vergessen.

Ein musikalischer Leiter war auch schnell gefunden, Herbert Bredtschneider, selbst ein Heimatvertriebener und im Achimer Musikleben als Orchesterleiter des hiesigen Musikvereins bereits bestens bekannt, übernahm die Leitung der Gruppe. Schon im März 1949 konnten die 25 Sängerinnen und Sänger ihr Können beim Frühlingsfest des Flüchtlingsvereins mit Erfolg unter Beweis stellen. Neben einigen Ständchen bei Familienfeiern innerhalb der Flüchtlingsgemeinschaft folgte im Sommer 1949 unter dem Namen „Gemischter Chor des Flüchtlingsvereins Achim" ein Auftritt beim Kreisflüchtlingstreffen in Verden.

Hatte der Chor bisher nur bei Veranstaltungen in der Flüchtlingsvereinigung seine Auftritte, folgte im Herbst 1949 der erste öffentliche Auftritt. Bei einem Volkstumsabend anlässlich einer Handwerks- und Gewerbeausstellung in Achim stellte der inzwischen auf 60 Mitwirkende angestiegene „Schubertchor der Achimer Heimatvertriebenen" sein Können unter Beweis.

 

Getragen von diesen Erfolgen wurde Anfang 1950 im Chor der Entschluss gefasst, sich vereinsmäßig von der Flüchtlingsvereinigung zu trennen und eine eigenständige Chorvereinigung zu gründen. Dieser Entschluss war vor allem der Weitsichtigkeit Herbert Bredtschneiders zuzuschreiben. Er hatte erkannt, dass der Chor mit seinem bisherigen Repertoire von ostdeutschen Heimatliedern und Auftritten innerhalb der Flüchtlingsvereinigung nicht lange bestehen würde.

 

Unter dem Namen „Schubertchor Achim" öffnete sich der Chor der großen Musik, zugleich aber auch sangesfreudigen Alt-Achimern und trug somit als Mittler zwischen Vertriebenen und einheimischen Bürgern zur gegenseitigen Verständigung bei. Auf der ersten Mitgliederversammlung wurde Bertram Heinze zum 1. Vorsitzenden gewählt. Gleichzeitig trat man dem Deutschen Sängerbund bei.

Unter dem Motto „Der Schubertchor singt" veranstaltete der Chor am 22. Mai 1950 sein erstes öffentliches Konzert im Saal des Hotels „Stadt Bremen". Zu den A-cappella-Vorträgen des Schubertchores traten als Solisten Alice Arndt, Sopran, Herbert Bredtschneider und Leonhard Lugert, Violine, und Charlotte Wiefel Klavier, auf. Die Zuhörer honorierten die beträchtliche Leistung des Chores und der Solisten mit großem Applaus und die Presse bescheinigte dem Chor, dass er mit dieser Leistung in die vorderste Reihe der heimatlichen Chöre aufgerückt sei.

 

Am 18. Februar 1951 - der Chor zählte inzwischen 64 Mitglieder (darunter auch schon einige Einheimische) - fand ein weiterer Konzertabend statt. Diesmal hatte Herbert Bredtschneider das Orchester des "Musik-Vereins Achim" in das Programm mit einbezogen. Mit Beethovens „Die Himmel rühmen" und dem „Ave verum" von Mozart wagte sich der Chor schon an die großen klassischen Chorwerke heran. Der Saal des Hotels „Stadt Bremen" war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Kritik bestätigte dem Chor eine großartige Leistung und stellte fest, dass „der Schubertchor fest im Sattel des heimischen Kulturlebens sitzt."

 

Neben Übungsstunden und Konzerten kam auch das Vergnügliche in der Gemeinschaft nicht zu kurz. Sommerausflüge in die nähere und weitere Umgebung, Faschingsfeste und Adventsfeiern, aber auch das jährliche Ständchen für die Patienten des Achimer Krankenhauses waren zum festen Bestandteil des Chorlebens geworden.

 

Ein weiterer Höhepunkt war im Herbst 1952 die Einladung zu einem Freundschaftssingen mit dem "Stephanschor" des Fernmeldeamtes Bremen. Das gemeinsame Konzert fand im kleinen Saal der Bremer "Glocke" statt und beide Chöre begeisterten das bremische Publikum mit einem ausgewogenen Programm.

 

Im November 1953 stand den Achimer Zuhörern ein weiterer Ohrenschmaus ins Haus. Mit einem Gedächtniskonzert aus Anlass der 125. Wiederkehr des Todestages des Namenspatrons des Chores zeigte Herbert Bredtschneider, dass er den Chor auf ein beachtliches künstlerisches Niveau gebracht hatte.

 

Einen Wechsel in der Vereinsführung gab es zur Jahreshauptversammlung 1954. Bertram Heinze, der als Vater des Schubertchores die zahlreichen und großartigen Chorfeste vorbereitet hatte, legte aus gesundheitlichen Gründen das Amt des 1. Vorsitzenden nieder. Ihm folgte der Lehrer Otto Willenberg in dieses Amt.

 

Zahlreiche Konzerte in den folgenden Jahren trugen den Chor von Erfolg zu Erfolg. Immer wieder verstand es Herbert Bredtschneider, in den ausgewogenen Programmen das erweiterte Repertoire seines Chores der breiten Zuhörerschaft vorzustellen. Für die vielen Solisten und Solistinnen, die mit dem Chor konzertierten, seien hier stellvertretend die Achimer Pianistin und Klavierlehrerin Charlotte Wiefel, die Altistin Ursula Zollenkopf vom NWDR in Hamburg und der aus den Reihen des Schubertchores stammende Bariton Manfred Golbeck genannt.

 

1957 kam die so erfolgreiche Chorarbeit ins Stocken. War es der beginnende Aufschwung im Wirtschaftsleben, dass keiner mehr Zeit hatte, oder war es das sich im Alltagsleben inzwischen breitmachende Fernsehen, dass sich die Teilnahme an den Übungsabenden arg verschlechterte? Herbert Bredtschneider brauchte immer mehr Zeit zum Einstudieren neuer Stücke. Ein für 1957 vorgesehenes Konzert kam gar nicht erst zur Aufführung, und auch ein für Anfang 1958 geplantes Konzert musste wegen des schlechten Leistungsstandes des Chores mehrmals verschoben werden. Als es endlich Ende Mai stattfand, schrieb die Presse zu einer guten Kritik von sparsamen Konzerten des Schubertchores.

 

Mit Erfolg versuchte Herbert Bredtschneider noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren, denn für 1959 stand das 10jährige Bestehen des Chores an. Mit der Ausrichtung des Kreisgruppen-Sängerfestes, an dem 13 Chöre teilnahmen, und einem großen Festkonzert mit beliebten Opernchören beging der Chor sein Jubiläumsjahr.

 

Doch danach erlahmte der Chorgeist weiter. Zum Jahresbeginn 1964 war die Zahl der aktiven Chormitglieder auf 35 geschrumpft. Auf der Jahreshauptversammlung trat Otto Willenberg aus Gesundheitsgründen als 1. Vorsitzender zurück. Als seinen Nachfolger wählte der Chor den Amtsgerichtsrat Dr. Wolfgang Fürsich in dieses Amt. Ihm oblag es jetzt, gemeinsam mit Herbert Bredtschneider den Chor vor dem Untergang zu bewahren. Mit einer neuen Werbeaktion konnten einige neue Mitglieder gewonnen werden.

Doch dann passierte es: Mitten in der Saison 1965 musste Herbert Bredtschneider, wegen seiner angeschlagenen Gesundheit, den Dirigentenstab aus der Hand legen. Im Chor herrschte große Ratlosigkeit - war dies das Ende eines erfolgreichen Konzertchores? Der 1. Vorsitzende Dr. Fürsich stand nun vor der schweren Aufgabe, einen guten Chorleiter zu finden, der die so erfolgreiche Arbeit von Herbert Bredtschneider fortführen konnte. Aus dem Kreis der Wunschkandidaten gelang es beiden, mit der Unterstützung von Elisabeth Wöhlke, Detlef Wülbers für das Amt des neuen Chorleiters zu gewinnen. Mit dem gebürtigen Achimer und Kapellmeister am Bremer Staatstheater stand dem Chor nun ein Vollblutmusiker als musikalischer Leiter vor. Am 15. Dezember 1965 gab er mit dem Schubertchor und dem Chor und "Orchester der Musikfreunde Bremen" sein Konzertdebüt in Achim. Im vollbesetzten Saal des Hotels „Stadt Bremen" erklangen u.a. von Beethoven „Meeresstille und glückliche Fahrt" und der Hirtenchor aus "Rosamunde" von Franz Schubert. Die Presse war voll des Lobes über das Konzert und begrüßte die neue Ehe des Schubertchores mit den Bremer Musikfreunden.

 

Schon bald bereitete man sich auf das 20jährige Bestehen des Chores vor. „Die Jahreszeiten" von Haydn sollten zum Jubiläumskonzert erklingen. Gelockt von diesem großen Werk der Chorliteratur, stieg die Zahl der aktiven Mitglieder rasch auf 44 an. - Und dann war es soweit. Am 20.Oktober 1969 erklang in der Sporthalle der Achimer Realschule dieses großartige Oratorium. Einschließlich des Schubertchores hatte Detlef Wülbers rund 120 Sänger auf die Bühne gebracht, darunter aus Bremen den "Hohentors-Kirchenchor" und den "Chor der Musikfreunde Achim" den "Kirchenchor der St.-Laurentius-Gemeinde", die "Quartettvereinigung" und den Männergesangverein „Thalia". Dazu spielte das Orchester der Musikfreunde Bremen. Gewissermaßen als Generalprobe hatte dieses Laienorchester schon eine Woche zuvor gemeinsam mit dem Gemeinschaftschor das Werk im großen Saal der Bremer „Glocke", hier allerdings unter der Stabführung seines Orchesterleiters, Professor Werner Gößling, aufgeführt. Als Solisten wirkten in beiden Konzerten die Sopranistin Herrat Eicker, als Tenor der vom Bremer Theater bekannte Georg Koch und in der Basspartie Claus Ocker mit. Mit dieser glanzvollen Aufführung brach für den Schubertchor unter seinem Chorleiter Detlef Wülbers ein neuer Zeitabschnitt an.

 

Auch in puncto Konzertreisen wusste Detlef Wülbers neue Maßstäbe zu setzen. Mit der Teilnahme an einem internationalen Chorfest in Wien im Juli 1971 begann die Reihe der großen Konzertreisen, die den Schubertchor über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt machen sollten.

 

Auch in der Vereinsführung bahnte sich ein Wechsel an. Auf der Jahreshauptversammlung 1972 wurde Frau Maria Wenck zur 1. Vorsitzenden gewählt, nachdem Dr. Fürsich dieses Amt aus Gesundheitsgründen niedergelegt hatte. Ihm wurde in der Dankesrede bescheinigt, durch sein großes Engagement das Chorschiff vor dem Untergang bewahrt zu haben.

 

In den darauf folgenden Jahren wurden weitere erfolgreiche Konzerte gegeben, und mit der Steigerung des künstlerischen Niveaus stieg der Schubertchor zum musikalischen Kulturträger der Stadt Achim auf. Auch die Zahl der aktiven Sänger nahm stetig zu. So bereitete man sich langsam auf das Konzert zur Jubiläumsfeier aus Anlass des 25jährigen Bestehens vor. Am 20. Oktober 1974 war es dann soweit. In der ausverkauften Sporthalle der Achimer Realschule konnte Detlef Wülbers einen sehr gut vorbereiteten Schubertchor mit einem glänzend zusammengestellten Konzertprogramm vorstellen. Als Gäste waren die Sängerinnen und Sänger vom "Chor der Musikfreunde Bremen", deren musikalische Leitung Detlef Wülbers nach dem Ausscheiden von Professor Gößling auch übernommen hatte, mit von der Partie. Zum Vortrag kamen sowohl A-cappella-Stücke als auch Lieder mit Klavierbegleitung. Hier konnten beide Chöre ihren ausgewogenen Leistungsstand unter Beweis stellen. In zwei Chorstücken aus Mozarts Schauspielmusik zu „König Thamos" sangen als Solisten Klaus Renken (Tenor) und Horst Blume (Bass) mit. Doch der Stargast des Abends war der Kammersänger Heinz Hoppe (Tenor) von der Staatsoper Hamburg. Bei den durch ihn vorgetragenen Liedern von Franz Schubert und Richard Strauß wurde er am Flügel von Detlef Wülbers begleitet, während in den entsprechenden Chorstücken Regina Küsters die Klavierbegleitung übernahm. Das Achimer Publikum war begeistert, und die Presse würdigte in großen Worten die Leistung aller Akteure und schloss ihren Bericht:" ..Die Stadt Achim kann sich glücklich schätzen, dass sie in ihren Mauern einen Gesangverein vom Niveau des Schubertchores beherbergt. Und dass hier ein Musiker wie Detlef Wülbers wirkt, der sich nicht nur als meisterhafter, temperamentvoller Dirigent und Interpret ausweist, sondern auch über die Initiative, das Organisationstalent und die fachlichen Beziehungen verfügt, um musikalische Veranstaltungen vom Range des Jubiläumskonzerts auszurichten."

 

Günter Schnakenberg